Software: CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform

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Konstruktion von Freiformteilen

Bisher hat sich die Arbeit im CAD-System auf technisch relevante Teile bezogen, die möglichst einfach ihre Funktion erfüllen sollen. Insbesondere bei Gehäusen und Flächen, mit denen Menschen direkt interagieren, spielen aber auch oft Design und Ergonomie eine Rolle. Je nach Anwendung können auch Hydro- und Aerodynamik besondere Anforderungen an Hüllen stellen. Eine Möglichkeit solche komplexen Geometrien umzusetzen sind sogenannte Freifromflächen.

Grundlagen

Um beliebig gestaltbare Oberflächen zu beschreiben, könnte man viele Stützpunkte setzen und benachbarte Stützpunkte durch Dreiecke verbinden.

Eine effizientere Möglichkeit, bei der deutlich weniger Stützpunkte benötigt werden, ist das Verwenden von Splines. Ein Spline (englisch für Straklatte) ist ein biegbares Holzbrett, das zum Zeichnen gleichmäßiger Kurven ohne abrupte Übergänge verwendet wurde. Das Biegungsverhalten eines Splines ist über eine Kurve beschreibbar, deren Verlauf sich aus mehreren sich aneinander reihenden Segmenten kubischer Funktionen ergibt. Eine allgemeine kubische Funktion hat vier Parameter: Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Polynom1.gif. Um den Kurvenverlauf zwischen zwei Stützpunkten eindeutig zu beschreiben, muss also ein Gleichungssystem mit vier Gleichungen gelöst werden. Durch die zwei bekannten Stützpunkte können zwei Gleichungen aufgestellt werden:

Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Polynom2.gif

Die beiden verbleibenden Gleichungen beschreiben den Anstieg der Kurve in den Stützpunkten:

Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Polynom3.gif

Eine beliebig lange Kurve kann nun also bei n Stützpunkten über n-1 Segmente kubischer Funktionen beschrieben werden. Dabei ist für einen weichen Übergang zwischen zwei kubischen Funktionen immer darauf zu achten, dass der Anstieg der k-ten Funktion im Stützpunkt k+1 denselben Anstieg hat wie die k+1-te Funktion im selben Stützpunkt. Unter Einbeziehung der dritten Dimension lassen sich so auch quasi beliebige Flächen beschreiben. Nach diesem Grundprinzip können in modernen CAD-System Freiformlinien und -flächen erstellt werden. Verwendet werden dort oft sogenannte NURBS (engl. Für Non-Uniform Rational B-Splines). Diese Freiformkurven oder -flächen können über Stützpunkte, die beliebig zueinander gewichtet werden können, oder aber über Stützpolygone bestimmt werden. Dies erlaubt ein intuitives Arbeiten bei der Gestaltung der Flächen.

Grundsätzlich kann die Definition der Splines durch den Nutzer auf verschiedene Arten erfolgen. Nach den bisherigen Methoden wäre es uns zum Beispiel möglich, Splines in Skizzen anzulegen und so entsprechende Formen zu definieren. Da dieser Weg aber grundsätzlich bereits bekannt ist soll er im Nachgang nur kurz vorgestellt werden. Die zweite verbreitete Möglichkeit ist es die Splines nur innerhalb des CAD-Modells und für den Nutzer unsichtbar zu definieren. Die Manipulation erfolgt dann durch Drücken und ziehen an Punkten, Kanten und Oberflächen. Von der eigentlichen mathematischen Grundlage sieht man an dieser Stelle dann nichts mehr. Der Prozess ist dadurch eher mit formgebender Kunst wie dem Töpfern vergleichbar, als mit klassischem CAD.

Ladeschale als Freiform

Zur Übung des Umgangs mit Freiformen möchten wir eine Ladeschale für den Epilierer gestalten. Wir nutzen dazu die zweite Möglichkeit der grafischen Manipulation von Freiformflächen. Dabei wird relativ schnell ein Nachteil dieses Vorgehens im Vergleich zu unserer bisherigen Arbeit auffallen:

Die Manipulation von Freiformflächen erfolgt im Allgemeinen nicht parametrisch. Natürlich ist intern weiterhin alles genau in der Datei definiert und das Programm merkt sich auch die Arbeitsschritte (Funktion: Rückgängig), aber diese Aspekte tauchen in der Nutzerumgebung nicht mehr auf, es entsteht also nicht der gewohnte Strukturbaum an der linken Seite. Dieser Ansatz wird auch als direkte Modellierung bezeichnet und findet sich im Allgemeinen bei "künstlerischen" 3D-Programmen wie Blender wieder. Dadurch ist es nicht möglich, ein zuvor erstelltes Feature nachträglich noch zu ändern. Wir können beispielsweise nicht einfach die Größe der Ausgangsgeometrie anpassen und alle weiteren Operationen automatisch darauf anwenden.

Achtung: Es ist deshalb sehr wichtig, die folgenden Anleitungsschritte genau zu befolgen und bei Fehlern die "Rückgängig"-Funktion von Inventor zu nutzen. Bei größeren Problemen sollte man die Geometrie am besten nochmal neu beginnen.

Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Button.gif

Zunächst erstellen wir ein neues Bauteil Ladeschale_xx.ipt und speichern es im Ordner Epilierer_xx. Innerhalb des Teils erstellen wir über MFL > 3D-Modell > Freiform erstellen einen Zylinder als Grundkörper:

  • Die Grundabmessungen (Höhe: 40 und Radius: 35) müssen wir jetzt definieren und können diese später nicht mehr (als Parameter) anpassen.
  • In der Höhe nutzen wir für unsere Form 3 Flächen. Diese lassen sich aber auch später noch einfügen oder wieder entfernen. Die 4 Radiusflächen können beibehalten werden.
  • Außerdem definieren wir zunächst eine Symmetrie für X und Y.
  • Abschließend wird der Körper auf die X-Z-Ebene platziert und der Mittelpunkt mit dem Ursprung verknüpft:
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Zylinder.gif
  • Es erscheinen in der MFL jetzt die Bearbeitungsmöglichkeiten für Freiformgeometrien.
  • Im Rahmen der Übung ist nur ein kurzer Einblick in die Funktionen möglich. Alles Weitere findet sich in der Dokumentation von Autodesk.
  • Zunächst soll der Kreiszylinder auf eine ovale Grundform abgeändert werden. Dazu markieren wir mit <Maus + Strg> alle Kanten, die mittig vorne über das Bauteil verlaufen (5 Stück).
  • Mit MFL > Freifrom > Bearbeiten > Form bearbeiten Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform bearbeiten Button.gif kann man diese Kante jetzt verschieben. Wir drücken sie 12,5 mm in negative Z-Richtung nach innen. Durch die definierte Symmetrie sollte ein Oval entstehen:
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Oval.gif
  • Um das Teil oben etwas schmaler zu machen, wählt man eine der beiden vorderen, oberen Flächen (welche ist durch die Symmetrie egal) und verschiebt diese jeweils 5 mm in x- und z-Richtung nach innen:
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Verjuengung.gif
  • Als Nächstes wird eine der mittleren Seitenflächen um 9 mm nach unten verschoben, um eine steilere Seitenkante zu erhalten:
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Seite.gif
  • Die Ladeschale soll oben den Epilierer aufnehmen. Die genaue Geometrie dafür werden wir später erzeugen aber jetzt schon grob andeuten, damit sie gut in die Ausgangsform passt.
  • Dazu schieben wir den Mittelpunkt der oberen Deckfläche 10 mm nach unten, sodass eine leichte Mulde entsteht:
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Mulde.gif
  • Für eine glatte Auflagefläche wählt man nun noch die unterste Kante aus und nutzt den Befehl MFL > Freiform > Ändern > Kante knicken, um eine scharfe Abschlusskante zu erhalten:
  • Hinweis: In Inventor 2024 (ohne Update 2024.2) kam es beim Befehl "Kante knicken" vermehrt zu Fehlern, teilweise zum Programmabsturz. Vor der Operation also bitte das Modell Speichern. Sollte der Fehler vermehrt auftreten, bitte ohne diesen Schritt fortfahren.
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Kante.gif
  • Die folgenden Operationen sollen den Körper nicht mehr symmetrisch verändern. Dazu kann man über MFL > Freiform > Symmetrie > Symmetrie löschen (auf Pfeil klicken) wählen und anschließend den Körper anklicken.
  • Damit sich das Gerät eindeutig von vorne einsetzen lässt, verschieben wir abschließend noch den Mittelpunkt der vorderen oberen Kante 30 mm nach unten:
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Kantenpunkt.gif
  • An dieser Stelle ist der Freiform-Teil der Bearbeitung abgeschlossen: Grüner Haken, Freiform fertig stellen.
  • Ab jetzt befinden wir uns wieder in der normalen Bauteilumgebung, wobei die Freiform nur als einzelnes Feature angezeigt wird. Speichern!

Wer Spaß an der Arbeit mit Freifromen findet, sollte sich den zugehörigen Arbeitsbereich von Fusion 360 einmal genauer ansehen. Dort findet sich eine Vielzahl von Funktionen, die über den Umfang von Inventor noch deutlich hinaus gehen. Allerdings wird auch dabei nur der direkte Modellierungsansatz ohne Parameter unterstützt.

Boolesche Operationen mit Körpern

Die Ladeschale muss eine möglichst genaue Negativform des Geräts besitzen. Theoretisch ist es natürlich möglich, diese von Hand zu modellieren. Oft ist dieser Weg aber je nach Komplexität der Form aufwändig. Im vorliegenden Fall kommt erschwerend hinzu, dass die Gehäusebauteile des Epilierers nicht manuell konstruiert wurden, weshalb keine nachvollziehbare Grundlage zur Synthese der Geometrie vorhanden ist.

Für solche Fälle bietet es sich an, Körper und Flächen mit booleschen Operationen zu generieren. Dabei werden Schnittmengen, Vereinigungen oder Differenzen anhand bereits bestehender Geometrien erzeugt:

  • Zunächst benötigen wir als Referenz die Gehäusegeometrie als Körper innerhalb der Bauteildatei. Dazu lassen sich abgeleitete, mit dem Original verknüpfte Geometrien in Bauteile einfügen. Diese Funktion kann auch hilfreich sein, wenn ein Teil bestimmte Referenz zu Features eines anderen aufweisen soll (mehr dazu in der Doku).
  • Wir wählen im Bauteil MFL > 3D-Modell > Erstellen > Ableiten Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Ableiten Button.gif
  • Aus dem sich öffnenden Dateidialog wählt man zunächst die Baugruppe Epilierer_ohne_Scherkopf, die die benötigten Gehäusekonturen enthält.
  • Im Konfigurationsdialog wird der Stil auf "Zusammenführen" gesetzt und alles außer der Gehäuseteile abgewählt. Da die genutzten Gehäuseteile noch einige Importfehler aufweisen, muss außerdem in den Optionen die Funktion unabhängige Körper erstellen ausgewählt werden:
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Ableiten Dialog.gif
  • Die beiden Gehäusehälften befinden sich wegen der versetzt liegenden Koordinatensysteme noch nicht an der richtigen Position. Im Gegensatz zur Baugruppe sind in Bauteilen mit mehreren Körpern keine Beziehungen oder frei beweglichen Teile vorgesehen.
  • Zum Verschieben wählt man MFL > 3D-Modell > Ändern > Körper verschieben (mit schwarzem Pfeil ausklappen). Jetzt muss man beide Körper wählen und diese um folgende Werte verschieben: X: 0 mm, Y: 55 mm, Z: -13 mm:
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Verschieben.gif
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Kombinieren.gif
  • Theoretisch könnte man die beiden Gehäusehälften zunächst zu einem Körper vereinigen und diesen dann von der Ladeschale abziehen.
  • Aufgrund von bereits vorhandenen Problemen mit der importierten Geometrie führt dieses Vorgehen aber leider zu Berechnungsfehlern. Wir behelfen uns, indem wir beide Körper einzeln abziehen.
  • Die Boolesche Operation startet man über MFL > 3D-Modell > Ändern > Kombinieren Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Kombinieren Button.gif.
  • Grundkörper ist die Freiformgeometrie, Werkzeugkörper die erste Hälfte des Gehäuses. Die Operation soll Ausschneiden sein.
  • Den Arbeitsschritt wiederholt man mit der zweiten Hälfte des Gehäuses.
  • Es verbleibt noch die innenliegende Geometrie der Gehäuse. Da diese über das Loch für den Ladestecker mit der Schale noch verbunden ist, muss man den Körper auftrennen, bevor sich die nicht benötigte Geometrie entfernen lässt.
  • Als Hilfsgeometrie erstellt man dazu zunächst eine Arbeitsebene 8 mm oberhalb der X-Z-Ebene. Die Ebene sollte die verbliebene Geometrie des Ladeanschlusses schneiden, was man über eine Schnittansicht kontrollieren kann.
  • Auf der Ebene erzeugen wir eine neue Skizze mit einem 10 mm großen Kreis um die verbleibende Lochform (2,5 mm unterhalb des Ursprungs):
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Skizze.gif
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Trennen.gif
  • Für eine weitere boolesche Operation kann aus dieser Skizze nun eine Werkzeuggeometrie in Form einer Fläche erstellt werden.
  • Den passenden Befehl findet man in MFL > 3D-Modell > Oberfläche > Umgrenzungsfläche. Im Dialog muss man dazu den skizzierten Kreis als Umgrenzungskontur wählen.
  • Zum Zerschneiden des Körpers in zwei Einzelteile wählen wir MFL > 3D-Modell > Ändern > Trennen. Das Werkzeug ist die gerade erstellte Fläche und diese soll den bestehenden Körper schneiden. Dazu muss man mit dem grünen Button zunächst die Körperauswahl aktivieren.
  • Beim Verhalten kann direkt definiert werden, dass der oben liegende Teilkörper entfernt wird. Alternativ könnte man auch nur trennen und den Körper anschließend löschen.
  • Es verbleibt jetzt nur die untere Hälfte der Ladeschale mit einem kleinen Rest der Lochgeometrie.
  • Da wir sowieso noch einen Zugang zum Anschluss des Kabels schaffen müssen, kann man diesen Teil einfach mit ausschneiden.
  • Die Skizze der Umgrenzungsfläche (10 mm Kreis) sollten wir dazu im Modellbrowser einfach wieder verwenden (Kontextmenü > Skizze wieder verwenden).
  • Anschließend erstellt man ausgehend von der freigegebenen Skizze eine Extrusion mit Ausschnitt nach unten "Durch alle".
  • Als Abschluss werden noch die scharfen Kanten oben verrundet. Dafür kommt eine Rundung mit 1 mm Radius zum Einsatz.
  • Achtung: Aufgrund der Probleme in der Ausgangsgeometrie müssen auch hier die Vorder- und Hinterkante einzeln verrundet werden (zwei Features), wobei man mit der Vorderkante beginnen muss.
  • Damit ist die Ladeschale als Bauteil fertig:
Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Ladeschale.gif

Jetzt muss die Ladeschale noch in die Hauptbaugruppe Epilierer eingefügt werden. Dazu muss man sich geeignete Geometrien und Ursprungsebenen suchen, die die Schale verdrehsicher (!) und korrekt auf den Ladeanschluss ausgerichtet positioniert. Die Bewegung in y-Richtung darf frei gelassen werden, um das Einsetzten des Geräts in die Ladeschale zu visualisieren.

Software CAD - Tutorial - Fortgeschritten - Freiform Animation.gif

Baugruppe speichern!