Grundlagen: Entwurfsprozess

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Einleitung

Der in Forschung/Entwicklung tätige Ingenieur oder Naturwissenschaftler soll Lösungen für technische Probleme finden. Der Entwurfsprozess umfasst dabei den Abschnitt zwischen einer bereits vorliegenden Aufgabenstellung und der fertigen Produkt- bzw. Prozessdokumentation als Ergebnis der Aufgabenlösung:


Grundlagen Entwurfsprozess - zwischen Aufgabe und Loesung.png
  • Entwerfen bedeutet in der Technik, ausgehend von einer Aufgabenstellung das zu entwickelnde Objekt (z.B. ein Produkt oder einen technologischen Prozess) "vorauszudenken".
  • Als Ergebnis des Entwurfsprozesses liegt eine Beschreibung des zu entwickelnden Objektes und bestimmter Anforderungen an seine Realisierung vor. Im Konstruktionsprozess nennt man diese Beschreibung z.B. Produktdokumentation.
  • Die Dokumentation der Lösung wird meist noch in Form von Papier erstellt. Der Trend geht jedoch zur Verwaltung aller Bestandteile dieser Dokumentation (Texte, Zeichnungen, Modelle) im Rechner.

In diesem Grundlagen-Abschnitt soll verdeutlicht werden, wie sich Modellbildung, Simulation und Optimierung harmonisch in den Entwurfsprozess einbinden lassen:

  • Die Darstellung des Entwurfsprozesses beschränkt sich hierfür auf die Aspekte, welche besondere Bedeutung für die Nutzung unterschiedlicher Modellklassen besitzen.
  • Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den frühen Phasen des Entwurfsprozesses, in denen der Einsatz z.B. von 3D-CAD-Modellen und daraus abgeleiteten Finite-Elemente-Modellen auf Grund fehlender Geometrieinformationen noch nicht möglich ist.

Entwurfsprozesse als zielgerichtete geistige und schöpferische Leistungen besitzen eine sehr individuelle Ausprägung. Diese Ausprägung erfolgt sowohl durch die Organisationen in denen diese Prozesse ablaufen, als auch durch die konkreten Bearbeiter einer Entwurfsaufgabe:

  • Speziell auf dem Gebiet der Konstruktion bemüht sich seit über 1/2 Jahrhundert die Konstruktionstechnik als Technikwissenschaft, die firmenspezifische Organisation von Konstruktionsprozessen zu verallgemeinern (Konstruktionssystematik: z.B. Bischoff, Hansen und Bock an der TH Ilmenau).
  • Aus diesen Bemühungen resultierte z.B. 1973 die generelle Vorgehensweise im Konstruktionsprozess nach VDI 2221:
Grundlagen Entwurfsprozess - VDI-2221.gif
  • Der normal begabte Konstrukteur soll damit zu einer planbaren Innovationsrate befähigt werden:
"Wie kommt man ohne große Umwege zu einer optimalen Lösung für eine gestellte Aufgabe?"
  • Schwerpunkt der Technikwissenschaft "Konstruktionstechnik" (in der Literatur) war und ist der Maschinenbau, wo dieses Fachgebiet meist im Rahmen der Lehrveranstaltungen Konstruktionslehre behandelt wird.
  • Die darin beschriebene methodische Vorgehensweise beim Entwerfen ist jedoch problemlos auf andere Bereiche übertragbar, wenn man die jeweiligen Besonderheiten berücksichtigt.


Grundlagen-Literatur:

  • Gerhard Pahl, Wolfgang Beitz†, Jörg Feldhusen, Karl-H. Grote: Konstruktionslehre – Grundlagen erfolgreicher Produktentwicklung Methoden und Anwendung. 8. Aufl. Springer, Berlin 2013, ISBN 978-3642295683.


Die vier Phasen des Konstruktionsprozesses

Produktplanung (als vorgelagerter Prozess):

Zumindest größere Unternehmen leisten sich eigenständige Arbeitsgruppen, welche im Rahmen der sogenannten Vorentwicklung verantwortlich sind für Erarbeitung innovativer Produktvorschläge:

  • Produktvorschläge werden in Form von Aufgabenstellungen formuliert.
  • Die Produktplanung ist somit nicht Bestandteil des Konstruktionsprozesses, sondern generiert als vorgelagerter Prozess Aufgabenstellungen für den Konstruktionsprozess:

 

0.Produktplanung
:
Erarbeiten von Produkt-Ideen
    (in Form von Aufgabenstellungen)
 
Pfeil nach unten gruen.gif
 
 
AUFGABENSTELLUNG
 
 
(Lastenheft)
 
1.Aufgabenpräzisierung
:
Erarbeiten der Anforderungsliste (Pflichtenheft)
2.Konzeptphase
:
Festlegen der Prinziplösung
3.Entwurfsphase
:
Festlegen der Gestalt
4.Ausarbeitungsphase
:
Festlegen der Herstellungstechnologie
 
Pfeil nach unten gruen.gif
 
 
PRODUKT-
 
 
DOKUMENTATION
 

 
Ziel der Produktplanung sind "optimale" Aufgabenstellungen:

  • Man bedient sich mehr oder weniger bewusst dem Grundprinzip der natürlichen Evolution "Varianten-Generierung und Selektion", um im Sinne der "Gewinnmaximierung der Firma" zu optimalen Produktvorschlägen zu gelangen.
  • Letztendlich sollen nur diejenigen Produktvorschläge im Konstruktionsprozess weiter bearbeitet werden, welche unter Berücksichtigung aller bekannten Aspekte zu einem auf dem Markt erfolgreichen Produkt führen können (im Diagramm grün hervorgehoben):
Grundlagen Entwurfsprozess - Produktplanung mit opt Aufgabenstellung.gif
  • Dieses Prinzip der Varianten-Generierung mit anschließender Selektion der besten Varianten (im Sinne der Gütekriterien) ist das universelle Optimierungsprinzip, auf dem der gesamte Evolutionsprozess in der Natur basiert.
  • In der Technik "züchtet" der Ingenieur mit diesem Optimierungsprinzip im übertragenen Sinne die geforderten optimalen Ergebnisse:
  1. Varianten-Erzeugung mit Hilfe von Kreativitätstechniken
  2. Varianten-Selektion mit Hilfe von Auswahl- und Bewertungsmethoden
  • Der gesamte Entwicklungsprozess ist durch ein ständiges Erzeugen und Auswählen von Varianten gekennzeichnet. Dies wurde im obigen Bild bereits für Konzeptphase angedeutet.


Aufgabenpraezisierung

Die Aufgabenpräzisierung ist die erste Phase eines Entwurfsprozesses. Obwohl die dabei zu bearbeitenden Dokumente und Bezeichnungen durch entsprechende Normen klar definiert sind, herrscht im Alltag teilweise doch Verwirrung bei der Verwendung der Begriffe. Deshalb werden im Folgenden insbesondere die Unterschiede zwischen Aufgabenstellung, Anforderungsliste, Lastenheft und Pflichtenheft sowie die unterschiedlichen Bedeutungen von Anforderungen, Forderungen und Wünschen erläutert.


Aufgabenstellung (als archivierbares Dokument erforderlich - meist in Textform):

  1. Resultiert aus der firmeninternen Produktplanung oder
  2. Kommt im Rahmen eines Auftrages oder einer Angebotsanfrage von einem externen Kunden.

Aufgabenstellungen besitzen abhängig von ihrer Herkunft unterschiedliche Grade an Vollständigkeit.
Aus der Sicht des Bearbeiters erfordern Aufgabenstellungen immer einer Ergänzung durch zusätzliche Informationen. Dies nennt man Aufgabenpräzisierung.


Lastenheft:

  • Im Idealfall liegt eine Aufgabenstellung in Form eines Lastenheftes vor.
  • Das Lastenheft enthält lt. DIN 69905 die "vom Auftraggeber festgelegte Gesamtheit der Forderungen an die Lieferungen und Leistungen eines Auftragnehmers innerhalb eines Auftrages" (Das "Was" und das "Wofür")
  • Das Lastenheft wird vom Auftraggeber erarbeitet und dient ihm z.B. auch als Grundlage für das Einholen von Angeboten.


Anforderungsliste:

  • Ist das zentrale Dokument in der Phase der Aufgabenpräzisierung.
  • Verzeichnis aller Forderungen und Wünsche in der Sprache der konstruierenden Abteilungen. (Die Sprache des Kunden muss häufig erst "übersetzt" werden!)
  • Anforderungen werden unterteilt in Forderungen und Wünsche:
    • Forderungen:
      • Das sind die Anforderungen, welche unter allen Umständen erfüllt werden müssen (sonst wird die Lösung nicht akzeptiert!).
      • Sind gekennzeichnet durch quantitative Vorgaben:
        • z.B. Druckgeschwindigkeit > 130 Zeichen/Sekunde,
        • Qualitätsforderungen lt. Norm (z.B. Spritzwassergeschützt)
    • Wünsche:
      • Das sind die Anforderungen, welche nach Möglichkeit berücksichtigt werden sollen.
        • Meist qualitative Vorgaben (im Sinne "möglichst klein, schnell, ...").
        • Eventuell wird dafür ein begrenzter Mehraufwand akzeptiert.
        • Wünsche sind zu Wichten nach hoher, mittlerer und geringer Bedeutung


Vorgehen beim Aufstellen der Anforderungsliste

1.Anforderungen sammeln:

  • Ausgangspunkt ist die Aufgabenstellung (Lastenheft) mit den Hauptmerkmalen des Produkts:
    • Zweck der Lösung? Eigenschaften? Unzulässige Eigenschaften?
    • Geometrie, Kinematik, Kraftwirkungen, Energie, Stoffe, Signale, Sicherheit, Ergonomie, Fertigung, Kontrolle, Montage, ** Transport, Gebrauch, Wartung, Recycling, Kosten, Termine, ... .
  • Anforderungen sofort Klassifizieren nach Forderungen und Wünschen.
  • Für die Wünsche den Grad der Wichtigkeit vermerken (hoch, mittel, gering)

2.Anforderungen sinnfällig ordnen:

  • Hauptaufgabe und -daten zuerst.
  • Gliederung nach Teilsystemen (soweit diese schon erkennbar sind).

3.Abstimmung mit Auftraggebern:

  • Abstimmungsprozess protokollieren.
  • Ergebnis der Abstimmung schriftlich fixieren und beidseitig unterzeichnen.
  • Die Anforderungsliste kann im Verlaufe des Konstruktionsprozesses in Abstimmung mit dem Aufgabensteller aktualisiert werden.


Beispiel für Anforderungsliste aus:
Pahl / Beitz / Feldhusen / Grote: Konstruktionslehre
7.Auflage; Springer Verlag 2006 - Seite 225


Pflichtenheft:

  • Enthält lt. DIN 69905 die vertraglich bindende, detaillierte Beschreibung einer zu erfüllenden Leistung.
  • Das Pflichtenheft wird vom Auftragnehmer auf Grundlage des vom Auftraggeber vorgegebenen Lastenheftes erarbeitet.
  • Das Pflichtenheft entspricht in seinem technisch/fachlich Teil der Anforderungsliste.
  • Zusätzlich enthält das Pflichtenheft einen rechtlich/organisatorischen Teil.


Hinweis: Bis zur Fertigstellung dieses Grundlagen-Kapitels findet man einen Überblick über die 4 Phasen des Konstruktionsprozesses in dem PDF-Script aus der Lehrveranstaltung "Optimierung" des Instituts für Feinwerktechnik und Elektronik-Design der TU-Dresden.

Konzeptphase

In der Konzeptphase erfolgt die "Transformation" der präzisierten Aufgabenstellung (Anforderungsliste) in ein optimales technisches Prinzip (meist Bau eines Funktionsmusters):

Grundlagen Entwurfsprozess - Konzeptphase-Ueberblick.gif
  • Das Konzipieren als Strukturbildungsprozess nutzt die Erkenntnisse der Natur- und Technikwissenschaften sowie heuristische Prinzipien.
  • Insbesondere TRIZ als eine Methode aus dem Repertoire der Kreativitätstechniken erlebt zur Zeit einen gewissen Boom, was man schon anhand der Anzahl der Internetseiten zu diesem Thema erkennt (im Jahr 2013 ca. 2 Millionen Seitentreffer in GOOGLE)
  • TRIZ ist das russische Akronym für "теория решения изобретательских задач", was sinngemäß übersetzt bedeutet: "Theorie des erfinderischen Problemlösens" oder "Theorie zur Lösung erfinderischer Probleme".
TRIZ-Literatur z.B. Orloff: Grundlagen der klassischen TRIZ

3.Auflage; Springer Verlag 2006

ISBN-13: 978-3540340584

Entwurfsphase

Ausarbeitungsphase